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„Print ist hirngerechte Kommunikation“

Das Multisense Institut für sensorisches Marketing in Remscheid beschäftigt sich wissenschaftlich mit der Wirkung verschiedener Kommunikationskanäle und berät auf dieser Basis Unternehmen bei der Optimierung ihrer Marketingstrategien und Produktentwicklung. Nun hat das Team um den geschäftsführenden Gesellschafter Olaf Hartmann in einer Meta-Analyse zur Werbewirksamkeit von Print mehr als 300 internationale Studien ausgewertet. Im Interview erläutert er die teils überraschenden Befunde.

Herr Hartmann, können Sie uns Ihr Multisense Institut bitte kurz vorstellen?

Olaf Hartmann: Seit unserer Gründung 2009 sind wir auf die multisensorische Optimierung von Marketing spezialisiert, angefangen beim Produktdesign über die Markenkommunikation bis zu Verkaufsprozessen. Wir sind Brückenbauer zwischen Forschung und Praxis. Seit rund 15 Jahren erzeugen Neurowissenschaften und Psychologie eine Wissensexplosion – gerade in den Behavioral Economics, die 2002 durch den Nobelpreis für Daniel Kahneman enormen Aufschwung erfahren haben. Ein zentraler Befund: Unser Gehirn nimmt multisensorische Signale schneller wahr, speichert sie besser ab und stuft sie als glaubwürdiger ein. Das ist höchst relevant, wenn es um effektive Kommunikation und um die Attraktivität von Produkten geht. Unser Institut ist als Kooperationsprojekt mit der Deutschen Messe AG gestartet, um dieses Wissen zu bündeln und über Events wie unser „Multisense Forum“ zu multiplizieren. Weil der Bedarf über die temporär angelegte Kooperation mit der Messe hinausging, führen wir das Multisense Institut seit 2012 als Marketingberatung weiter.

Wie sieht Ihre Beratung aus?

Hartmann: Es stehen ganz konkrete Marketingfragen im Mittelpunkt: Wie übersetzt sich ein Marken- oder Produktversprechen multisensorisch? Wie optimiert man die Attraktivität von Produkten für bestimmte Zielgruppen? Welches Papier ist für welches Direktmailing sinnvoll? Welche Druckveredelung korrespondiert optimal mit dem Produktversprechen oder wann lohnt sich Duftveredelung? Wir optimieren Marketing nach dem ARIVA-Modell – Attention, Recall, Integrity, Value und Action. Denn es geht um mehr als nur Aufmerksamkeit. Kunden sollen sich an Produkt und Werbebotschaft erinnern, die Marke als glaubwürdig erkennen, sie wertschätzen und so zum Kauf oder zu einer Reaktion angeregt werden. Wir wissen seit Pestalozzi, dass multisensorische Kommunikation gehirngerecht ist. Seine Aussage „Lernen funktioniert am besten mit Hirn, Herz und Hand“, lässt sich ins Marketing übertragen. Das multisensorische Erlebnis schafft Verständnis, Erinnerung und Emotion - und erzeugt so die stärkste Wirkung. Die moderne Gehirnforschung mit ihren bildgebenden Verfahren bestätigt dies eindrücklich. Eine zentrale Erkenntnis lautet: Unser Gehirn liebt Print!

Das sagen Sie in Zeiten von Smartphone- und Internetsucht?

Hartmann: Auf jeden Fall! Studien belegen, dass wir Texte auf Papier tiefer verarbeiten und besser erinnern. Die digitale Revolution wird die menschliche Evolution auch in Zukunft nicht überholen. Reiz-Reaktions-Untersuchungen belegen, dass unsere Gehirnaktivität mit jedem zusätzlich angesprochenen Sinn um den Faktor zehn steigt: Multisensorische Verstärkung wirkt also exponentiell. Print ist in der Lage, Botschaften auf verschiedenen Sinnesebenen zu codieren: optisch, akustisch, mithilfe von Düften - und vor allem haptisch. Printprodukte lassen sich buchstäblich begreifen. Nicht alle medialen Kontakte sind gleich viel wert. Es gibt psychologisch große qualitative Unterschiede. Offensichtlich wird das bei Reaktionsquoten auf E-Mail-Einladungen im Vergleich zu gedruckten Einladungen. Was oft vergessen wird: Werbung im digitalen Raum konvertiert Markenvertrauen, trägt wahrnehmungspsychologisch aber nur schwach zu dessen Bildung bei. Print hat starke markenbildende Qualitäten. Das liegt in der Natur der Sache: Wir können uns versehen und verhören, aber niemals verfühlen. Der Tastsinn ist unser „Wahrheitssinn“, mit dem Glaubwürdigkeit und Wertschätzung aufs engste korrespondieren. Darum bleibt Print auch in Zeiten der Digitalisierung wertvoll! Print ist entgegen vieler Vorhersagen nicht tot. Die Branche besinnt sich derzeit wieder auf ihre Stärken. Und das ist weniger die Geschwindigkeit, als die emotionale Qualität. Wir sehen es im Verlagswesen. Printmedien, die nicht auf Tagesaktualität setzen, sondern auf Qualität und Emotion, geht es heute fast durchweg hervorragend.

Sie haben jüngst in einer Metastudie die Werbewirkung von Print und Veredelung analysiert. Wie sind Sie vorgegangen?

Hartmann: Angestoßen durch die Creatura-Initiative des Fachverbands Medienproduktion haben wir ein Jahr lang über 300 internationale Studien zur Werbewirkung von Print und Printveredelung analysiert und so den aktuellen Wissensstand rund um die Werbewirkung von Print zusammengetragen. Das Spektrum umfasst wissenschaftliche Untersuchungen, Branchenstudien und Best-Practice-Berichte.

Welche Fragen standen im Mittelpunkt?

Hartmann: Diese haben wir aus den fünf ARIVA-Dimensionen abgeleitet. Wie erzeugt Print optimal Aufmerksamkeit? Wie beeinflusst es Erinnerung, Glaubwürdigkeit, Wertschätzung und Kaufbereitschaft? Das sind die konkreten Ziele einer jeden Marketingkampagne. Diese Metaebene haben wird auf die konkrete Handlungsebene heruntergebrochen: Wie macht Print Kampagnen effektiver und effizienter? Wie baut es Markenvertrauen und -erinnerung auf? Wie differenziert es Marken und Produkte im Wettbewerb? Denken Sie an Apple, deren speziell veredelte Verpackungen selbst in dunklen Räumen sofortige Wiedererkennung ermöglichen. Daneben stand die Rolle von Print in Verkaufsprozessen im Fokus. Für welche Produkte lohnt sich eine Veredelung und für welche nicht? Wir haben dabei sehr interessante Erkenntnisse gesammelt, aber auch weiße Flecken auf der wissenschaftlichen Landkarte entdeckt. Insgesamt ergibt sich ein sehr hoffnungsvolles Bild für die Druckbranche.

Was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Befunde der Metaanalyse?

Hartmann: Ein Basisbefund: Bewusst verarbeitet unser Gehirn 40 Bits pro Sekunde, aber unbewusst elf Millionen Bits. Das heißt, die Kaufentscheidung fällt im Bauch und wird mit dem Kopf rechtfertigt. Doch sind die Bauchentscheidungen keineswegs dumm; sie haben unsere Evolution schließlich entscheidend geprägt. Es bedarf verständlicher Codes, die der Bauch intuitiv entschlüsseln kann. Hierzu ein Beispiel aus einer der analysierten Studien: Probanden hatten die Auswahl zwischen drei Verpackungen für eine Gesichtscreme. Eine unveredelt, eine mit Softtouch-Lack und eine mit einer dekorativen Relieflack-Veredelung. Letztere fanden die Probanden auf den ersten Blick am attraktivsten. Im Kaufprozess lag aber die Softtouch-Lösung vorn. Ihre angenehme Haptik transportierte das Versprechen „zarte Haut“ intuitiv am besten und sorgte zudem für die höchste Preisbereitschaft. Nicht die bewusste Wahrnehmung steuert also das Verhalten, sondern die unbewusste Interpretation unserer Wahrnehmung. Das ist der Schlüssel für den effektiven Einsatz von Print. Es gilt, die Zielfilter der Konsumenten so zu adressieren, dass damit ihre Bauchentscheidung adressiert wird. Print als intuitiv glaubwürdiger und aktivierender Kanal trägt so maßgeblich zum Erfolg crossmedialer Kampagnen bei. Es macht alle anderen Kanäle wirkungsvoller.

Kommt die Botschaft an? Ändert sich der Digital-/Analog-Mix in Werbebudgets?

Hartmann: Nach dem digitalen Rausch setzt bei einigen Unternehmen mittlerweile der Kater ein. Sie erkennen, dass sie ihren Mediamix zu stark auf digitale Medien konzentriert haben – und ihre Kampagneneffizienz sinkt. Die Auswertung von mehr als 3.200 Kampagnen zeigt, dass jeder zusätzliche Kanal die Wirksamkeit steigert – um bis zu 35 Prozent. Die Budgets sollten also intelligent verteilt werden. Es bleibt dabei, dass Print, TV und Radio am stärksten zur Markenbildung beitragen. Das haben Digitalpropheten oft anders dargestellt. Viele sind ihnen blind gefolgt. Die Besonnenen hingegen wurden belohnt. So hat der Hemdenhersteller Olymp seinen Mediaetat in den letzten zehn Jahren zu 90 Prozent im Printbereich belassen und seinen Umsatz dabei von 80 auf über 230 Mio. Euro nahezu verdreifacht. Vertrauen und Glaubwürdigkeit einer Marke entstehen durch das gedruckte Wort. Selbst für Youtuber und Twitterstars ist es der Ritterschlag, wenn Printmedien über sie berichten.

Ist digitale Kommunikation also völlig überschätzt?

Hartmann: Wir müssen hier die Prozess- und Kommunikationsebene unterscheiden. Digitale Prozesse sind schneller, flexibler und skalierbarer. Doch weil sich die digitale Bildbearbeitung durchgesetzt hat, beeindruckt uns ein Bildschirm voller Pixel noch lange nicht so sehr wie ein gedrucktes Bild. Unsere Analysen zeigen deutlich: Crossmedial ist Trumpf. Es geht darum, alle Kanäle mit jeweils passenden Botschaften zu bespielen. Ikea druckt weiterhin Kataloge, nutzt im Layout digitale Visualisierung für die regional differenzierte Kundenansprache mit jeweils angepassten Wohnwelten und setzt zudem verstärkt auf Augmented Reality.

Was wird aus Print, wenn künftig nur noch Digital Natives digitale Warenkörbe füllen?

Hartmann: Trotz digitalem Fortschritt wird in vielen Bereichen eine Rückbesinnung auf das Analoge sichtbar. Gerade junge Menschen sind für haptische und akustische Qualität hoch empfänglich. Vinylschallplatten mit gedruckten Hüllen und Booklets haben Musikdownloads vom Umsatz her überholt. Digitales Streaming ist erfolgreich. Doch wenn Menschen Musik besitzen und sich emotional mit ihr verbinden wollen, ist Haptik gefragt. Die Wirkung von Print lässt auch im Marketing nicht nach. Anfangs schrecken die Kosten von Direktmailings ab. Doch ihr Kosten-Nutzen-Verhältnis ist unschlagbar. Der Event-Gutscheinanbieter Jochen Schweizer ist im Internet groß geworden, stieß dort aber an Wachstumsgrenzen. Erst die Investition in gedruckte Mailings hat einen weiteren Wachstumsschub gebracht. In der Costs-per-Order-Betrachtung hat sich Print als günstigster Kanal von allen erwiesen. Als Aldi seine Beilagen in der Bild-Zeitung einsparen wollte, war der Kundenrückgang sofort messbar. Erst als es die Beilagen wieder gab, kamen die Leute in die Filialen zurück. Papier berührt und aktiviert uns. Der Mensch ist eben nicht nur von Effizienzzielen getrieben, er wird nach wie vor multisensorisch sozialisiert und wird auch in Zukunft großen Wert darauf legen, die Welt mit allen Sinnen zu erleben. Kognitive Entwicklung bleibt ein multisensorischer Prozess.

Was bedeutet das für Anbieter von Druck- und Papiertechnik?

Hartmann: Die Branche muss Technologien entwickeln, die der Emotionalisierung von Print dienen. Individualisierte Produkte, interessante Öffnungsmechaniken, wertige Oberflächen, feine Papiere und Kartons sowie die Möglichkeit, mit passenden Düften oder mit akustisch interessanten Oberflächenstrukturen zu arbeiten. Der Maschinenbau muss seinen Beitrag zur multisensorischen Inszenierung von Marken und Produkten leisten; dies natürlich zu vertretbaren Kosten. Genau das tut die Branche auch schon. Sie bereitet ihre Maschinen und Anlagen auf häufigere Jobwechsel für die Umsetzung kleiner, individualisierter Auflagen vor und schafft immer neue Veredelungstechnologien, von optischem Effektlack über die Kaltfolienveredelung bis zur hochwertig anmutenden Prägung. Dabei kann der Druck- und Papiermaschinenbau auf einer langen Tradition aufbauen. Unsere Metastudie zeigt, dass seine Technologien beileibe nicht zum alten Eisen gehören, sondern weiterhin eine zentrale Rolle in der Multichannel-Kommunikation spielen.
www.vdma.org

 

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